Spannender Austausch mit britischen Gästen

Spannender Austausch mit britischen Gästen

 

Pinneberg – Eine Woche lang hatten wir Gäste aus England: Jessica Rae und Simon Shevlin, angehende Paramedics (vergleichbar mit den deutschen Notfallsanitäter*innen), haben uns im Rahmen eines Austauschprogramms besucht. Die beiden Studierenden der Edge Hill University (EHU) in Manchester sind auf der Rettungswache Norderstedt Schichten gefahren und haben an Lerneinheiten an der Akademie teilgenommen. Zum Abschluss besuchten sie den Verwaltungsstandort in Pinneberg und tauschten sich dort bei Kaffee und Mandelhörnchen mit Kolleg*innen über Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Rettungsdienstsysteme in Deutschland und Großbritannien aus.

Der internationale Austausch findet zwischen der EHU, der RKiSH, einem tschechischen und einem schweizerischen Rettungsdienst statt. Bereits 2018 hatten uns fünf angehende Paramedics besucht. „Das Projekt lag während er Pandemie brach und wurde jetzt wieder aufgenommen“, sagt Florian Breitenbach, Organisator für die RKiSH. „Es bietet tolle Möglichkeiten, über den Tellerrand zu blicken und voneinander zu lernen.“

Tim Schäpsmeier, stellvertretender Wachenleiter in Norderstedt, zeigte sich begeistert von den Gästen aus Manchester. „Man kann aus unserer Sicht sagen, dass der Besuch ein voller Erfolg war und die beiden großes Interesse gezeigt haben“, sagt er. „Dadurch, dass sie bereits Erfahrung aus dem Einsatzdienst haben, hat man keine Unterschiede gemerkt. Es war wie mit einem zusätzlichen NotSan an Bord. Der Austausch nach Einsätzen oder an der Wache war sehr interessant und rege. Besonders beeindruckend fand ich, dass die beiden ihre kompletten SAA, Medikamentendosen und Informationen in einer App auf dem Handy haben.“

Britische Paramedics: Bachelor-Studiengang statt Ausbildung

Die beiden Paramedics stellten weitere Unterschiede zwischen dem deutschen und dem britischen Rettungsdienst fest. Einer der auffälligsten liegt aus Jessicas Sicht in der Ausbildung: In Großbritannien wird der Berufsabschluss zum Paramedic seit einigen Jahren im Rahmen eines Bachelor-Studiums mit entsprechendem Abschluss erreicht. Das Unistudium sei theoretischer ausgerichtet als die Ausbildung hier. Während unsere Azubis vom ersten Tag an auf einer Wache eingesetzt werden, fahren die Studierenden in Großbritannien nach vier Monaten zum ersten Mal auf dem RTW mit. „Auf der anderen Seite hat der Studienabschluss bei uns zu einer Aufwertung des Berufs geführt – auch, was die gesellschaftliche Anerkennung betrifft“, sagt Simon. Paramedic sei in Großbritannien mittlerweile einer der am höchsten angesehenen Berufe in der Gesellschaft.

"Es ist stressiger und anstrengender bei uns."

„Bereitschaftsdienste gibt es bei uns nicht“, machte Jessica einen weiteren Unterschied aus. „Während meiner Nachtschicht hier konnte ich zwischendurch schlafen – das wäre bei uns absolut undenkbar. Bereitschaftsdienst kennen wir nicht. Jede unserer Schichten – ob Tag oder Nacht – dauert 11,5 Stunden mit einer halben Stunde Pause zum Essen auf der Wache. Den Rest der Zeit sind wir im RTW unterwegs von einem Einsatzort zum nächsten, die Wache wird nur für die Pause angefahren. Betten oder Sofas gibt es auf unserer Wache nicht. Zur Toilette gehen wir in einer der Kliniken. Es ist bei uns stressiger und anstrengender als hier.“

Auch habe sie sich sehr gut aufgehoben gefühlt: „Ich hatte den Eindruck, dass sich das Unternehmen hier sehr viel um die Mitarbeitenden kümmert.“ Dies habe sie im Alltag auf der Wache im Austausch mit den Wachenleitungen empfunden. Auch, dass die Kolleg*innen Firmenweihnachtsgeschenke bekämen, habe sie verblüfft: „Wir bekommen aber einen Orden zu besonderen Ereignissen, etwa der Krönung von König Charles.“

Auf dem RTW hatte es Simon besonders die Sortierung im Medikamentenschrank angetan: „Viel übersichtlicher als bei uns“, sagt er.

Patient*innen werden mehr zu Hause versorgt

Was die Behandlung der Patient*innen angeht, unterschieden sich die Standards der Behandlungsmethoden nicht wesentlich, allerdings haben Jessica und Simon auch im Einsatz viele Unterschiede festgestellt. So sorge das britische Triage-Schema dafür, dass die Paramedics anhand verschiedener standardisierter Abläufe häufiger als bei uns selbst entscheiden, wer zu Hause versorgt werden kann und wer ins Krankenhaus gebracht werden muss. „In Deutschland wird bei jedem Brustschmerz der Notarzt hinzugezogen“, sagt Simon. „Wir reizen zunächst unsere Skills bis zum Maximum aus.“ Auch für Jessica war das hiesige Notarztsystem der auffälligste Unterschied. „Einen Arzt, der extra für Notfälle bereitsteht, gibt es bei uns gar nicht. Wir lassen viel mehr Patienten zu Hause“, bestätigt sie. „Das kostet aber auch mehr Zeit: Wir müssen den Patienten zu Hause ja dann aufwändiger versorgen und außerdem zu unserer Absicherung sehr umfangreiche Formulare ausfüllen.“

Insgesamt sieht Jessica das aber als Vorteil gegenüber unserem System: „Unser Triage-Schema und damit die größere Selbstständigkeit der Paramedics bei Entscheidungen empfinde ich als positiv“, sagt sie. „Es bietet uns ausreichend Sicherheit, wenn wir Patienten zu Hause lassen, ohne, dass wir uns bei einem Arzt rückversichern müssen.“

In England wartet auf Jessica und Simon jetzt der Bewerbungsprozess. Anders als in Deutschland, wo die Ausbildung bereits innerhalb eines Unternehmens durchgeführt und in der Regel nach dem Ende eine Übernahme angeboten wird, müssen sich die beiden nach ihrem staatlichen Studium nun bei einem der Rettungsdienste in England einen Job suchen. Schwierigkeiten werden sie aber sicher nicht haben: Aufgrund des auch in England herrschenden Fachkräftemangels stehen ihnen als angehende Paramedics alle Türen offen.

(ts)

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